Am 7. Januar 2015 drangen zwei maskierte Bewaffnete in die Redaktion des französischen Satire-Magazins CHARLIE HEBDO ein und töteten elf Menschen. Ich habe diesen Terrorakt damals schon als mehr empfunden, als einen Angriff auf die betroffene Redaktion: Es war ein Anschlag auf die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit, die Freiheit der Satire, die Toleranz, den Humanismus... - Letztlich ein Angriff, der MICH (be)traf.

In der Folge gab es unter dem Slogan 'Je suis Charlie', (dt.: 'Ich bin Charlie') eine Solidaritäts- und Protest-Kampagne, die für mein Empfinden, genau das zum Ausdruck brachte. Darüber hinaus gab es etliche Sondersendungen und öffentliche Diskussionen und Meinungsäußerungen zu diversen Aspekten wie: "Was darf Satire?", "Ist der Islam eine Gefahr für unsere (westliche) Werte-Gemeinschaft?" und Ähnliches. Und natürlich haben etliche Zeichner und Karikaturisten den Angriff auf ihre Art kommentiert. Alles, was ich in diesen Zusammenhängen gut und schön und richtig und wichtig fand, habe ich auf dieser Seite 'gegen das Vergessen' gesammelt, weil ich die dahinter stehenden Haltungen und Überzeugungen zu wichtig finde, um sie -nach Abebben der öffentlichen Aufmerksamkeit- sang- und klanglos verschwinden zu lassen.

Quellen und Urheber wurden nach bestem Wissen vermerkt, ergänzende oder korrigierende Hinweise sind immer willkommen.

 

Bremen im Januar 2015, Oliver Manstein


 



"Religionen sind wie Fußball: an und für sich
ein schönes Spiel. Aber sobald die Ultras
aufkreuzen, wird's ungemütlich."
Bodo Wartke in Mix 11/2014


Ruben L. Oppenheimer


"Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen." - Wird in dieser oder abgewandelter Form regelmäßig Voltaire zugeschrieben, stammt tatsächlich aber von Evelyn Beatrice Hall, die damit in ihrem Buch "The Friends of Voltaire" (1906) dessen Haltung beschrieb mit: "I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it" .



Lucille Clerc


"[...] Den satirischen Feind im Fokus behalten

Bei bestimmten schrecklichen Bildern in scherzhaft-satirischem Kontext herrscht
beim Zuschauer nur noch Entsetzen über die Gefühllosigkeit des Satirikers,
während der satirische Feind aus dem Fokus gerät. Besonders gilt dies in Fällen,
wo der dargestellte Schrecken nicht direkt auf den satirischen Feind
zurückzuführen ist. Ein Nicht-Nazi-Beispiel aus meinem Alltag bei extra 3: In einem
Beitrag der Rubrik "Die Sendung mit dem Klaus" wurde die Redensart "Ich glaub,
es hackt!" mit der Darstellung eines Robbenbabys bebildert, das mit der Spitzhacke
erschlagen wird. Die darauffolgende Redaktionskonferenz kam zu dem Ergebnis,
dass eine derartig grausame Darstellung nur dann statthaft sei, wenn sie in einem
Beitrag zum Thema Robbenjagd gezeigt würde und der satirische Feind die
Robbenjäger selbst seien. "Nur zum Spaß" ein solches Bild zu zeigen, zeugt zwar
von Kaltblütigkeit und Mut zum Tabubruch, es werden aber Verharmlosung,
Abstumpfung und Hemmschwellensenkung für einen Lacher in Kauf genommen.

Ähnliches gilt für islamistischen Terror. Man kann Terroristen satirisch bloßstellen,
muss aber vorsichtig mit sinnfreien Terrorgags oder -vergleichen in anderen
Kontexten sein, damit das Mittel den Zweck nicht in den Schatten stellt. [...]"

Jesko Friedrich, Autor, Regisseur und Darsteller in der NDR Satire-Sendung Extra 3
[Dieser Auszug steht als Appetit-Anreger zum Lesen des gesamten Artikels
"Was darf Satire", der viele weitere kluge Gedanken enthält
- Der vollständige Text erschien im ARD-Jahrbuch 2009
und ist HIER online verfügbar.]



("Wenn es Deine Religion wert ist, für sie zu morden, fang bei Dir selbst an.") - Urheber unbekannt.

Am Tag nach dem Anschlag schrieb Titanic-Chefredakteur Tim Wolff:

"[...] Als etwa gestern circa 100 Journalisten Interviews und
Statements von mir haben wollten, fielen immer wieder
Wendungen wie "Wir wollten Sie nicht überfallen" oder
"Schießen Sie los" - und was taten diese Leute, als ihnen
auffiel, was sie da gerade versehentlich, aus Routine gesagt
hatten? Sie lachten. Nicht etwa, weil sie sich damit über
die ermordeten Satiriker lustig machten, sondern weil ihre
üblichen Phrasen auf einmal in einem anderen Kontext standen,
eine Bedeutung bekamen, die sie nicht haben sollten. Dahinter
steckt keine wertvolle Aussage, es nimmt schlicht für einen
Moment dem Ernst die Macht.

Und das dürfte der Grund sein, weswegen Fanatiker,
speziell religiöse, Komik verachten. Sie vertreten eine
todernste, einzige, ewige Wahrheit, und der Witz -
egal, wie klug oder lustig er im Einzelfall sein mag -
bedroht diese Wahrheit. Religion (und so manch
andere Weltanschauung) ist Wahnsinn im Kleide der
Rationalität, Satire und Komik Rationalität im Kleide
des Wahnsinns. Das eine muss das andere
missverstehen. Deshalb werden Vertreter des heiligen
Ernstes der Komik stets mit Zorn begegnen. Und es ist
ihr gutes Recht. Solange sie dies mit denselben Waffen
wie Satiriker tun: mit Wort und Bild. Und nicht mit
Maschinenpistolen.

Seit gestern gilt mehr denn je: Es lebe der Witz. Der
kluge. Der platte. Jeder, der genügend Menschen
findet, die über ihn lachen. Und für alle, die ihn nicht
mögen, sollte mehr denn je gelten: Ertragt ihn oder
ignoriert ihn. [...]"

[Auszug aus "Ihr werdet der Komik nicht Herr!" - Den kompletten Text gibt es HIER.]